A.B.A.S. РAnlaufstelle bei Esssțrungen Stuttgart

Esssucht (psychogene Adipositas)

Adipositas bedeutet Fettleibigkeit, was in erster Linie auf starkes Übergewicht und nicht auf eine psychische Störung verweist. Aus diesem Grund wird sie auch nicht im DSM-IV als psychische Störung beschrieben. Zudem handelt es sich weder um eine pubertätsspezifische noch geschlechtsspezifische Essstörung.

Wir stellen sie an dieser Stelle vor, da ihr im pädagogischen Alltag viel Aufmerksamkeit zukommt und sie auffallend stark mit Vorurteilen belastet ist.

Bei der Betrachtung der Adipositas ist es daher unerlässlich, die Betroffenen in zwei Gruppen zu unterteilen.

Zur der ersten Gruppe zählen Übergewichtige ohne wesentliche Leidensmerkmale. Sie waren meist schon als Kind übergewichtig und fühlen sich mit ihrem Übergewicht eingebunden in eine entsprechende Familientradition. Sie essen regelmäßig zu viel mit einer gewissen Vorliebe für Süßes und hochkalorische Nahrungsmittel. Der Wunsch nach einer Gewichtsreduktion entsteht nur auf gesellschaftlichen Druck hin.

Bei der zweiten Gruppe besteht ein deutlicher Leidensdruck. Die Betroffenen haben einen starken Behandlungswunsch, andererseits eine Vielzahl von Diätversuchen und -abbrüchen hinter sich, und das Leben wird in einem großen Maße vom Essen beherrscht.

Trotz zahlreicher Erhebungen schwanken die Angaben darüber, wie stark Adipositas verbreitet ist, beträchtlich. Man schätzt jedoch, dass bei 12 bis 18 % der erwachsenen Bevölkerung ein BMI von 30 oder höher vorliegt, wobei der Anteil der Frauen geringfügig höher liegt als der der Männer.
Da die höchste Prävalenz in der Altersgruppe zwischen 54 und 65 Jahren zu beobachten ist, müssten die Zahlen für Jugendliche deutlich darunter liegen. Die Adipositas kann schon im Kindesalter beginnen, geht jedoch nur in 33 % aller Fälle in eine Adipositas im Erwachsenenalter über. Je älter jedoch die/der Jugendliche zu Beginn der Adipositas ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit einer Manifestierung im Erwachsenenalter.

Eine Adipositas im Kinder- und Jugendalter ist in der Regel multifaktoriell bedingt. Der größte Risikofaktor sind übergewichtige Eltern, wobei hier genetische Faktoren neben familiären Ernährungsgewohnheiten und Verhaltensweisen eine größere Bedeutung haben, als bislang angenommen wurde.

Als zusätzliche Risikofaktoren gelten niedrige soziale Schichtzugehörigkeit, Einzelkindstatus, geringe körperliche Aktivität und fettreiche Ernährung.

Definition

Von Übergewicht wird bei einem BMI von 25 –29 gesprochen.

Eine Adipositas beginnt bei einem BMI von 30.

Liegt der BMI bei 40 und höher, spricht man von einer extremen Adipositas.

Der Begriff Esssucht (psychogene Adipositas) verweist darauf, dass die Betroffenen unter ihrem Essverhalten und Körperumfang leiden, unabhängig von der Höhe des Übergewichts.

Dicke Kinder und Jugendliche lösen in unserer Gesellschaft intensive moralische und abwertende Reaktionen aus. Die Mädchen und Jungen werden für ihr Übergewicht selbst verantwortlich gemacht, und ihr Dicksein wird mit negativen Charaktereigenschaften assoziiert. Sie gelten als träge, willensschwach, inaktiv etc. und werden z.B. auch bei der Suche nach einem Ausbildungs- und Arbeitsplatz benachteiligt. Die negativen Reaktionen der Umwelt erschweren es den Heranwachsenden, gleich- und gegengeschlechtliche Freundschaften aufzubauen, ein positives Körpergefühl und ein gesundes Selbstwertgefühl zu entwickeln. Ganz im Gegenteil, es löst bei den Betroffenen Verhaltensweisen aus, die ihrerseits wieder als Erklärung für Ausgrenzung herangezogen werden.

Symptomatik der Esssucht

  • Das Essverhalten wechselt zwischen restriktiven Phasen und Essanfällen, die von den meisten Betroffenen als nicht kontrollierbar beschrieben werden.
  • Das Essverhalten löst Schuld- und Schamgefühle aus und die Betroffenen werten sich ab. Infolge davon können Depressionen entstehen.
  • Ablehnung der eigenen Körperlichkeit und ein ambivalentes Verhältnis zur eigenen Sexualität. Sexualität mit Anderen wird häufig gar nicht gelebt.
  • Das Fett stellt einen Panzer dar und dient zur Abwehr eigener Gefühle und zur Abgrenzung auf Reaktionen der Umwelt.
  • Es lassen sich drei Gruppen bezüglich des Essverhaltens unterscheiden:
    • kontinuierliche MehresserInnen,
    • NachtesserInnen; sie zeigen tagsüber oft ein restriktives Essverhalten und entwickeln nächtliche Hungergefühle. Oftmals leiden sie unter Einschlaf- oder Durchschlafstörungen, was wiederum auf eine latente Depression verweist.
    • RauschesserInnen; sie leiden unter unkontrollierbaren Heißhungeranfällen. Das Essen wird in einer bestimmten Zeit (weniger als zwei Stunden) meist alleine verschlungen.
  • Die Körpersignale werden unangemessen wahrgenommen, z.B. können Gefühle von Hunger und satt sein kaum differenziert werden. Es kann auch nicht unterschieden werden, ob sie Hunger nach emotionaler oder körperlicher Nahrung haben. Positive und negative Gefühle wie Freude, Langeweile, Trauer, Aggression etc. können nicht adäquat beschrieben werden.
  • Esssüchtige haben, wie auch AnorektikerInnen, Körperschemastörungen. Der Körper wird als unförmiges Etwas erlebt, und die tatsächliche Figur kann nicht wahrgenommen werden.
  • Esssüchtige wirken oft passiv, gesetzt und sozial isoliert. Als Folge dieser Symptomatik ziehen sich Esssüchtige sozial zurück und glauben, wegen ihres Körperumfangs auf alle Spaß machenden Aktivitäten verzichten zu müssen. Sie leiden unter Bewegungsmangel und mit fortlaufender Dauer wird das Essen immer mehr als Problemlösungsstrategie verwandt.

Das eigentliche Leben wird auf später verschoben – auf die Zeit, wenn das Mädchen/ die Frau endlich schlank ist. Denn dann, so der sehnsüchtige Wunsch und die feste Überzeugung, werden sich auch alle anderen Probleme – automatisch – lösen. Diese Herangehensweise verhindert, Verantwortung für die aktuelle Situation zu übernehmen und Bereitschaft für Veränderungen zu entwickeln.

Die Adipositas gilt als chronisches Krankheitsbild als extrem resistent gegen Therapieversuche und hat eine hohe Rückfallquote. Mittlerweile wird davon ausgegangen, dass nur eine langjährige Behandlung erfolgversprechend ist. Kurzfristige Diäten, die zwar vordergründig zu einer schnellen Gewichtsabnahme führen, sich aber anschließend durch eine Gewichtszunahme auszeichnen, enttäuschen und frustrieren vor allem Jugendliche und mindern deren Motivation für weitere Maßnahmen. Wichtig ist es, bei der Behandlung realistische Ziele zu setzen. Eine adipöse Jugendliche wird nur selten eine Erwachsene, deren Körper den herrschenden Schlankheitsnormen entspricht – und das soll sie auch gar nicht. Gelingt es Jugendlichen, ihr Gewicht über einen längeren Zeitraum hinweg stabil zu halten, kann man dies bereits als Erfolg ansehen. Als weitere Erfolge zählen, wenn Adipöse ihr Übergewicht akzeptieren und es gelingt, das Selbstwertgefühl der Betroffenen aufzubauen und zu stabilisieren. In den letzten Jahren hat sich herausgestellt, dass körperliche Folgeerkrankungen nicht vom BMI allein, sondern viel mehr durch die Art des Übergewichts (durch Muskel- oder Fettmasse), die Fettverteilung im Körper und die Ernährungsart (z.B. salzreich oder salzarm) bestimmt wird.

Eine Adipositas im Jugendalter trägt ein erhöhtes Risiko für bestimmte Krankheitsbilder wie

  • erhöhter Blutdruck,
  • erhöhte Anfälligkeit für bestimmte Krebsarten im Erwachsenenalter,
  • Herz- und Gefäßerkrankungen,
  • Stoffwechselerkrankungen, z.B. Diabetes.
  • Es kann bereits im Jugendalter zu Gelenkerkrankungen kommen.

VGL. DAZU INSGESAMT DHS 1997,
KRÃœGER U.A. 1997

Auszug aus:

Nichts leichter als Essen?! РEsssțrungen im Jugendalter
Eine Handreichung für Schule und Jugendarbeit; Stuttgart 2000, 64 S.
Herausgeber: Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden Württemberg
Autorinnen: Dagmar Preiß; Anja Wilser, Mädchengesundheitsladen

Download als PDF